Mitglieder des Vereins erarbeiteten zunächst eine eigene Position zu dem in der Rheinischen Post veröffentlichten „Calatrava Boulevard“, die Sie hier nachlesen können. Aus den Meinungen wurde die nachfolgende dib-Stellungnahme abgeleitet. Am Sonntag d. 12. Februar 2023 wurde sie an den OB, die Bürgermeisterinnen und den Bürgermeister sowie die Fraktionen per Mail verschickt. 

Dib-Stellungnahme zum „Calatrava Boulevard“
Es ist positiv, dass durch ein Neubauvorhaben die ungeordnete Hinterhofbebauung an der Kö zwischen Königstraße und Steinstraße beseitigt und sowohl in architektonischer, funktionaler und ökologischer Hinsicht eine wesentliche Verbesserung und Einbindung in die vorhandenen Strukturen der KÖ, des Martin-Luther-Platzes und der Johanniskirche erfolgen kann.
Der durch die Rheinische Post veröffentlichte massive Entwurf des „Calatrava Boulevard“ erfüllt nach Auffassung von dib diese Erwartungen keineswegs.

Städtebau
Es handelt sich bei dem Calatrava Entwurf um einen monolithischen Städtebau, der die Umgebung völlig ignoriert. Die oberste Maxime scheint zu sein, eine möglichst hohe Verdichtung der teuersten Lagen in der gewachsenen Stadtmitte zu erreichen. Schon der erste Blick auf die in der RP vom 17. 01. 23 veröffentlichte Isometrie des Entwurfs des Calatrava Boulevards zeigt die riesige Baumasse des über einen Baublock reichenden Baukörpers, der bei genauerer Betrachtung alle Maßstäbe der vorhandenen Bebauung an der Kö und den anderen Straßen und Plätzen sprengt. Der größte Teil der neuen Bebauung liegt mindestens ein Geschoss höher als die umgebende Bebauung und steigert sich im Verlauf der Königstraße zum Martin-Luther-Platz bis auf 41,2 m (!) zu einem Hochhaus.
Mit der in den Martin-Luther-Platz neben dem Baudenkmal „Justizministerium“ hereinragenden, aufsteigenden Calatrava-Spitze mit weitaus höherer Bauhöhe (41,2 m) als das Justizministerium erfolgt ein zerstörerischer Eingriff in den Platz, der den lt. Denkmalschutzgesetz anerkannten Umgebungsschutz der Denkmäler Johanniskirche und Justizministerium ignoriert.

Architektur
Der Projektname „Calatrava Boulevard“ entspricht allenfalls der neuen Immobilien-poesie. Wie z.B. der Name „Ingenhoven Tal“ oder „Heinrich-Heine-Gärten“ des in Oberkassel/Heerdt gebauten Wohngebiets, wo Heinrich Heine nie gewesen ist, nicht der Wirklichkeit entspricht, ist auch der „Calatrava Boulevard“ kein Boulevard. Ein Boulevard ist eine „breite baumbestandene Straße“ (Knaurs Lexikon). Was hier als „Boulevard“ bezeichnet wird, ist ein schmaler überhoher Innenraum mit vereinzelten Bäumen, der eher einem hohen Sakralbau mit zwei Seitenschiffen gleicht. Dieser „Boulevard“ saugt die Kaufkraft des Publikums auf und zieht die Menschen in ein Labyrinth von Gängen. Der eigentliche Boulevard ist jedoch die Kö selbst!

In allererster Linie ist ein Konzept, das auf den Prinzipien der Nachhaltigkeit basiert, gefragt. Der Entwurf enthält keine Aussagen zur Fassadengestalt und Materialität.

Nutzungen
Ob der geplante „Boulevard“ die Königsallee ergänzt und bereichert oder ob er der Kö die Kraft nimmt ist die Frage, deren Beantwortung nur über ein neutrales umfassendes Einzelhandelsgutachten geklärt werden kann. Aus der gegenwärtigen Einzelhandelssituation in Düsseldorf heraus lässt sich das Projekt nicht rechtfertigen. Der Einzelhandel kämpft, wie in vielen Städten, mit den Folgen der Coronapandemie und den wirtschaftlichen Folgen (Kaufkraftverringerung, Energiepreise) des Ukrainekriegs sowie vor allen Dingen mit der fortschreitenden Digitalisierung der Handelsbereiche (Amazon). Auch der „gehobene“ Einzelhandel ist davon betroffen. So werden nach jüngsten Presseberichten im „Stilwerk“ sowie im „Sevens“ die Verkaufsflächen deutlich reduziert. Auch den Passagen an der Kö soll es nicht gut gehen.
Auch die vielen Büroflächen des Projektes können aus der aktuellen Situation des Büromarktes angezweifelt werde Das in der Coronazeit zur Kontaktverringerung aufkommende home-office verselbständigte sich. Viele Projekte wurden aufgegeben. Darauf reagierte die Trinkaus Bank mit hohem Stand an home-office Beschäftigten und verließ ihren bisherigen Standort an der Königsallee. Projekte wie das Hochhaus „Gateway“ am Kennedydamm, wurden aufgeben. Unverhältnismäßig steigende Baukosten und Bauzinsen, unsichere Lieferketten und die Büromarktlage mit nachlassender Nachfrage, die auch von den Flächenfreisetzungen der home-office Betriebe bestimmt wird, führten zur Projektaufgabe. Manche Projekte verringern ihren Büroanteil zu Gunsten von Wohnungen. Aktuell setzt vodafone 20 % seiner Flächen frei.

Die vitale funktionsgemischte Stadt ist das Leitbild nachhaltiger Stadtentwicklung. Urbane Produktion kann dabei ein wichtiger Bestandteil sein, denn nach Jahren der Funktionstrennung zeigt sie Wege auf, wie neue stadtaffine Produktionstypologien, Manufakturen, Kleingewerbe und Handwerke dazu beitragen können, wieder mehr Funktionsmischung in den verschiedenen Stadtquartieren zu erreichen und Versorgungsqualitäten zu sichern oder wieder herzustellen. Urbane Produktion verspricht kleinere Serien u.a. durch digitale Steuerung, dezentrale Fertigung, einen sparsameren Umgang mit Fläche und minimierte Transportwege.

Verfahren
Wie die Rheinische Post beschreibt, dass schon eins bis zwei Jahre hinter verschlossenen Türen – ohne eine Gesellschaft offene Diskussion – mit Entscheidungsträgern an dem Ergebnis gearbeitet wurde, werden dadurch Entscheidungen vorweg genommen, die die Entscheidungsgremien in Ihrer Gesamtzuständigkeit. beeinträchtigen. Mit dieser Art Investorenstädtebau wird auch die Planungshoheit eingeschränkt.
Dib fordert daher zur Gewährleistung der Planungshoheit, die Möglichkeiten des geplanten Vorhaben- und Erschließungsplans (VEP) voll zu nutzen.

Dib regt an, den vorliegende Entwurf gründlich zu überarbeiten. Die Entwicklung einer schon heute nicht mehr zeitgemäßen Großstruktur, die womöglich der Kö mehr Konkurrenz macht als sie zu stützen, steht in Frage.

Der dib-Vorstand, 10. Februar 2023